Ich brauche einen Beruf

Ich brauche einen Beruf

Berufswahl – der Behinderung zum Trotz?

von Valentina Eckstein

Wie soll es mit mir weitergehen?

Spätestens kurz vor dem Abschluss einer weiterführenden Schule stellt sich für jeden Jugendlichen diese Frage. Es gibt so vieles, was man werden könnte und auch möchte. Da ist aber diese nervige Behinderung, die diese große Auswahl scheinbar deutlich reduziert. Ist das wirklich so? Wenn ich mir die OI-ler auf der Mitgliederversammlung in Duderstadt anschaue, dann stelle ich fest, dass so vielfältig wie unsere Behinderung, so vielfältig auch unsere Berufe sind. Unter uns sind u. a. Journalisten, Rechtsanwälte, Sozialarbeiter, Lehrer, Ärzte, Schauspieler, IT-Spezialisten, Angestellte und Beamte. Und das alles mit OI!

 

Wenn ich auf meinen Berufsweg zurückblicke, und ich denke, das trifft auf viele berufstätige OI-ler zu, so ist die Behinderung im ersten Moment eine Hürde, die aber keineswegs allein entscheidend war, weder für die Berufswahl noch für den weiteren Berufsweg.

Entscheidend ist, dass man seine eigenen Stärken und Fähigkeiten, aber auch Einschränkungen realistisch einschätzen muss. Das kann nur jeder für sich selbst und kein Dritter. Erst wenn man sich das ein- bzw. zugestanden hat, kann man die Berufswahl treffen und den potenziellen Arbeitgeber überzeugen.

Und etwas bringen wir automatisch mit. Wir fallen auf! Und dies gilt es auszunutzen. Offen sein, Fragen beantworten bevor diese gestellt werden und klar machen:  „Ich kann, ich möchte und ich bin gleichberechtigt!“ Das Gleichberechtigsein setzt jedoch voraus, dass man nicht nur keine Nachteile, sondern auch keine Vorteile hat. Dass man genau so viel lernen und genau so hart arbeiten muss wie die anderen auch.

Was mir persönlich geholfen hat, meinen Berufsweg zu finden und zu gehen, war der Wille Leistung zu erbringen, eine gewisse Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, auch Umwege zu gehen und zum Teil unvorhersehbare Schwierigkeiten zu überwinden. Mein berufliches Ziel war und ist, dass meine Fachkompetenz und nicht mein Äußeres/meine Behinderung eine Rolle spielt. Und das kann ich nur dadurch erreichen, dass ich mit meinem Wissen punkte, bereit bin Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. In meinem Arbeitsbereich im öffentlichen Dienst muss ich sicherstellen, dass die technischen Anlagen wie z. B. Heizungen, Aufzüge funktionieren. Ich muss nicht selbst daran schrauben, aber ich muss dafür sorgen, dass die Fachleute es ordnungsgemäß tun. Und wenn’s mal nicht funktioniert, dann halte ich auch meinen Kopf dafür hin…

Mir ist es gelungen, mich über die Vorurteile wie „Du bist zu klein, zu schwach. Du kannst das nicht“ hinwegzusetzen und sämtliche Hindernisse als Herausforderung anzunehmen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und was ich mir einmal in den Kopf gesetzt habe, setzte ich auch um. Egal, wie schwer der Weg ist. Er fängt zum Glück immer mit dem ersten Schritt an. Und der Rest ergibt sich.


 

Medizin und OI = Arzt und Patient ?

von Dr. Oliver Semler

Mit Abschluss der Pubertät nehmen die medizinischen Probleme bei den meisten OI-Betroffenen ab und man sollte eigentlich erwarten, dass man dann froh ist, nichts mehr mit Krankenhäusern und Medizin zu tun zu haben. Bei mir war das etwas anders. Ich habe eigentlich immer gute Erfahrungen mit Ärzten gemacht, die mir bei einem Knochenbruch die Schmerzen genommen und mir geholfen haben. Deshalb hatte ich schon früh den Wunsch – nach der Phase Polizist und Feuerwehrmann zu werden – Medizin zu studieren und Arzt zu werden.

Das Studium funktionierte eigentlich ganz gut, wenngleich ich einige Male an die Grenzen des Machbaren gestoßen bin. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass ich ca. 140cm klein bin, aber immerhin lange Arme habe, und nie in einem Rollstuhl gesessen habe. Das erste Semester habe ich zwar noch mit Geh-Stützen absolviert, aber seitdem bin ich „freier Fußgänger“ und auch nicht zu sehr eingeschränkt im Alltagsleben im Vergleich zu nicht Betroffenen. Das hat mir während des Studiums extrem geholfen, da weder die Uni-Gebäude, noch die Hörsäle, noch das Studium als solches rollstuhlgerecht ist. In den ersten, theoretischen Semestern kommt man einigermaßen klar, aber schon im Anatomiekurs muss man „auf Betthöhe“ arbeiten können. Das Problem an ein Patientenbett und eine Untersuchungsliege heran kommen zu müssen, begegnet einem natürlich nicht nur während des Studiums sondern danach Tag täglich im Berufsleben. Andere Einschränkungen, die sich durch eine geringere Kraft von OI-Betroffenen ergeben (Tragen des Reanimationskoffers, Heben eines Patienten von einer Liege auf die andere etc.) lassen sich meist irgendwie kompensieren. Dies funktioniert insbesondere in allen Bereichen, die nicht mit viel physischer Kraft verbunden sind. Hier gilt es allerdings seine Fähigkeiten realistisch einzuschätzen, denn z.B. in der Orthopädie oder Chirurgie wäre ich sicher nicht glücklich geworden; 10 Stunden mit Bleischürze am OP-Tisch zu stehen ist einfach nicht drin. Wenn man diese Einschränkungen aber beachtet, dann spricht nichts gegen ein Medizinstudium für OI-Betroffene. Wichtig ist die Auswahl des Fachbereichs, in dem man später arbeitet und der Umgang mit der eigenen Behinderung. Mein Versuch während eines Praktikums einem 120kg schweren rauchenden Säufer zu erklären, er müsse seinen Lebensstil ändern funktionierte einfach mit 45kg und 140cm nicht. Wenn man sich aber einen Bereich aussucht, in dem weder die körperliche Kraft noch das „drohende Aufblasen“ vor einem Patienten, dem man die Leviten lesen muss, zum Alltag gehört, dann kann man mit einer OI sicher ein guter Arzt werden und auch die Einschränkungen, die man durch die OI hat, zu seinem Vorteil nutzen und so vielleicht einfacher in Kontakt zu manchen Patienten kommen.

Insgesamt also nur Mut, ein OI-ler muss Medizin nicht immer nur aus Sicht des Patienten erleben.


Studienwahl und Praktikum

von Fiona Krups

Mein Name ist Fiona Krups und ich studiere internationalen Schiffbau und Meerestechnik im 3. Semester (von 7) an der Hochschule in Bremen. Das ist ein relativ ungewöhnlicher Studiengang gerade für einen Oi-ler, da das obligatorische Vorpraktikum nicht ohne ist, wozu ich später noch genauer kommen werde. Wie ich wirklich auf diesem Studiengang gekommen bin, weiß ich nicht genau,  ich weiß nur, dass ich schon immer gern auf dem Wasser unterwegs war und gerne und viel Boot gefahren bin- und auf einmal wusste ich, dass ich genau das studieren wollte. Ich habe mich ausführlich mit dem Studiengang beschäftigt und erfahren, dass ich dieses Fach in Bremen, Hamburg, Kiel und Duisburg als Bachelor und in Berlin und Rostock noch zusätzlich als Master studieren kann. Außerdem hab ich erfahren, dass das Studium, wie andere Ingenieursstudiengänge auch, sich viel mit Mathe und Physik beschäftig, zum Teil sind es in beiden Fächern die Grundlagen, jedoch gibt es im Bereich Physik noch Fächer, die sich mit der Verdrängung von Schiffen im Wasser, der Strömungslehre, den Schiffsmaschinen und auch mit den Widerstand im Wasser beschäftigt. Zudem kommt noch ein Fach hinzu, welches sich mit den Werkstoffen, mit denen die Schiffe gebaut werden, auseinandersetzt. Für diesen Studiengang sollte das Interesse für das gesamte Schiff vorhanden sein. Gute Mathe- und Physikkenntnisse sind von Vorteil und erleichtern vieles, jedoch ist es auch mit Engagement und Fleiß möglich, dieses Studium zu machen. Ich selber hatte weder Mathe noch Physik im Abitur und es ist trotzdem gut machbar. Nach Abschluss des Bachelorstudiums kann man entweder noch in 2 Jahren den Master draufsetzten, wofür man einen Durchschnitt von 2,5 haben sollte, oder sich direkt bei Werften, Ingenieurbüros oder bei den Klassifikationsgesellschaften bewerben kann.(Klassifikationsgesellschaften überwachen den gesamten Bau eines Schiffes, angefangen von den Plänen über das Ausliefern an den Kunden bis noch mindestens 2 Jahre danach!).

Vorhin sprach ich über das Vorpraktikum von 13 Wochen, wobei 5 Wochen vor Studienbeginn schon gemacht worden sein sollen. Ich habe das gesamte Vorpraktikum in einer kleinen Werft in Troisdorf (zw. Köln und Bonn) gemacht. Als ich zum ersten Mal dort war, waren sie sehr skeptisch, wie das gehen sollte und wie das mit der Versicherung ist, wenn mir was passiert. Ich habe mich über alles erkundigt, ihnen die nötigen Informationen gegeben und nach zweimaligen nachhaken, wurde ich erst mal für 2 Wochen als Praktikantin eingestellt, welche sich nach und nach auf insgesamt 18 Wochen Praktikum verlängerten. Während dieses Praktikums habe ich Holz verlegt und weiter bearbeitet, Formen laminiert, Schäden am Rumpf repariert, Boote geputzt und Aquafouling aufgetragen. Körperlich war es manchmal eine Herausforderung, weil es echt anstrengend war, aber wenn ich mal körperlich kaputt war, durfte ich auch Pausen machen. Nach einer Weile war ich so mit im Team drin, dass ich mich schon richtig wohl fühlte und am Ende wollten sie mich gar nicht gehen lassen!

Ich empfehle jedem, der sich für dieses Studium interessiert, alles daran zu setzten, dass es auch klappt und im Zweifel, den Leuten, von denen man was will, so lange auf den Füßen rumzutreten, bis es klappt.